Die Quintessenz

March 16, 2010 by Konstantin Komarov  
Von Konstantin Komarov

Was ist das Wichtigste in jeder Kunst? Für einen Künstler, Musiker, oder Dichter ist es Inspiration: Der Zustand der Seele, welcher kaum in Worte gefasst werden kann. Dennoch, ohne ihn gibt es keine Kunst, nur Handwerk.

Also, was ist der Schlüssel für Kampfkünste? Ist es Kraft? Beweglichkeit? Ausdauer? Vielleicht das Wissen über geheime Techniken? Ich glaube nicht. Um das zu veranschaulichen, lasst mich eine Beobachtung teilen.

Vor kurzem hatte ich die Chance, mit einem Team von Leibwächtern zusammen zu arbeiten, die einen hochrangigen Amtsträger beschützen sollten. Diese Männer waren die Creme-de-la-creme, die „Elite“. Alle waren Athleten, 100+ kg schwer, Meister in verschiedenen Kampfkünsten, ehemalige internationale Champions. Unter ihnen war dieser eine Mann – ohne jegliche Titel oder Medaillen, ein einfacher Bauernjunge der wesentlich kleiner aussah, als der Rest. Es war mir ein Rätsel, wie er in das Team gekommen war.

Während dem Verlauf des Trainings zeigte sich jedoch, dass er der stärkste, effektivste und gefährlichste Kämpfer des ganzen Teams war. Wenn ich Kämpfer sage, meine ich nicht den Star des Sparrings, sondern echtes, realistisches Training: schnell, hart, schmerzhaft und furchterregend … Die Arten von Trainingsbedingungen, die wir für das Team erschaffen mussten, denn anfänglich war jeder von ihnen zu selbstsicher und hatte Illusionen, was seine „Superkräfte“ anging.

Eine sehr grundlegende Übung war es zum Beispiel, einen VIP durch eine „gewalttätige Menge“ zu bringen. Die Leute in der Menge konzentrierten sich nicht nur darauf, den VIP zu schlagen oder festzuhalten, sondern spielten auch mit den Gefühlen der Leibwächter: Sie psychisch aus dem Gleichgewicht bringen, wütend, beleidigt und verängstigt machen. Da die „Menge“ die Schwachstellen der Leibwächter sehr gut kannte, war das Training oft brutal, stieß an Nervenzusammenbrüche und tiefe „psychische Wunden“.

Während dieses Ablaufs verschwanden die Illusionen und alles wurde klar. Die Psyche der Athleten gab unter ernstem Stress nach. In extremen Situationen tendierten sie dazu die Kontrolle zu verlieren und stürzten sich entweder auf die Bedrohung oder verfielen in verschiedene Formen der „Starre“. Keine körperlichen oder besonderen Fähigkeiten konnten ihnen helfen: Ihre Körper verkrampften sich durch Muskelspannung und ihre Bewegungen wurden steif, ungeschickt, abgehackt, unpräzise und unangemessen im Sinne der Aufgabe.

Nichtsdestotrotz kontrollierte der Bauernjunge seine Psyche erstaunlich gut. Trotz seiner, verglichen mit den anderen, bescheidenen Statur und körperlichen Fähigkeiten, kam er erfolgreich aus den härtesten Situationen heraus. Als ich ihn fragte „Was ist deine Vorgeschichte?“ – antwortete er ehrlich „Habe Hausarbeit und Bauernarbeit geleistet, seit ich ein Kind war. Bin außerdem gerne mit Freunden in die Tanzhalle des Nachbardorfes gegangen und habe mich mit den dort Ansässigen geprügelt …“

Also, was ist der grundlegende Schlüsselfaktor in jeder Kampfkunst? Offensichtlich ist es keine der körperlichen Eigenschaften, sondern etwas anderes, welches die Anwendung der körperlichen Fähigkeiten in jeder Situation ermöglicht. Dieses Etwas ist die Psyche, um genauer zu sein, der Zustand der Psyche, welcher optimalen Einsatz des Körpers ermöglicht (Muskeln und Gehirn einbezogen): entspannt, flüssig, effektiv und spontan (schneller als Gedanken). Dieser optimale Zustand („Die Zone“) erlaubt es, das Bewusstsein zu beruhigen und den Körper zu befreien; wodurch eine natürliche Reaktion auf jede Situation erschaffen werden kann.

Dieser Zustand ist die Grundlage, auf welcher das Bauwerk der Kampfkunst steht. Es muss ein menschlicher Zustand sein, kein animalischer. Dann ist der Zustand – ausgedrückt als der befreite und vorbereitete Körper – leichter als Grundlage für zusätzliche Fähigkeiten zu benutzen: Bewegung, Verteidigung, Schläge, Ringen, Shooting, etc.

Natürlich kann man den Zustand auf umständliche Art und Weise lernen, beginnend mit dem Körper, durch das Bewältigen bestimmter Aufgaben und das Lernen körperlicher Fähigkeiten. Dies ist jedoch ein langer Pfad mit fragwürdigen Ergebnissen.

Oft, wenn Menschen Techniken und Abläufe lernen, Muskeln aufbauen, verschiedene „Geheimnisse“ der Kampfkunst lernen, versuchen sie lediglich ihre innere Angst zu unterdrücken und Selbstsicherheit und Gelassenheit zu erreichen: Den Zustand. Dieses Wandern in der Dunkelheit der Ignoranz, nicht darüber im Klaren, wonach sie wirklich suchen, erschafft gefährliche Illusionen, welche schnell durch harte, reale Erfahrungen zerstört werden können.

Der Körper gewinnt keine Kämpfe, sondern der Geist. Dieses Stück altertümlicher Weisheit handelt vom spirituellen Menschen, der über dem fleischlichen Menschen steht. Den Zustand zu erreichen ist der erste Schritt, Zugang zum Geist zu finden, welcher der mächtige und unbesiegbare Kern des Menschen ist.

Aber wie macht man den ersten Schritt? Was ist der Zustand? Wie findet, fühlt und behält man ihn bei? Wie hält man sich permanent darin auf, nicht nur während des Kämpfens, sondern auch im alltäglichen Leben (was oftmals weitaus wichtiger ist)?

Diese wichtigen Fragen werden wir alle versuchen während dem „Gipfeltreffen der Meister“ zu beantworten.

Zusammen, weil der Mensch nur ordentlich durch Liebe und unter anderen Menschen lebt und sich entwickelt. Zusammen, weil ein weg von tausend Meilen mit einem einzigen Schritt beginnt; aber um es zu zeigen, muss man es kennen. Zusammen, weil Systema so viel mehr ist als eine Kunst des Kämpfens: Es ist eine Kunst des Lebens.

Also, willkommen zum Leben!

Ich wünsche allen Freude, Liebe und großes Glück! Wir sehen uns im Sommer auf dem „Gipfeltreffen der Meister“!

Mit freundlichen Grüßen,

K. Komarov (Gipfeltreffen der Meister Lehrer)

Konstantin Komarov

- Major in the Special Service Police Force
- Russian Military Reconnaissance
- PhD in combat Psychology
- Professional Bodyguard for Moscow's Elite
- One of the master instructors at Systema Camp